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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 10.05.2001
Aktenzeichen: 5St RR 46/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 258 Abs. 1
StGB § 258 Abs. 4
StGB § 22
StGB § 23
StGB § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
StGB § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StGB § 56 Abs. 2 Satz 1
StGB § 57 Abs. 2 Nr. 2
StGB § 59 Abs. 1
StPO § 153 a
StPO § 473 Abs. 1 Satz 1
StPO § 473 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5St RR 46/01

Der 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat in dem Strafverfahren gegen

wegen versuchter Strafvereitelung

aufgrund der Hauptverhandlung in der öffentlichen Sitzung vom 10. Mai 2001, an der teilgenommen haben:

1. als Richter der Vorsitzende Richter J sowie die Richter H und S,

2. als Beamter der Staatsanwaltschaft Oberstaatsanwalt J,

3. als Verteidiger Rechtsanwälte G und Dr. W,

4. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Amtsinspektor W,

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 6. November 2000 wird als unbegründet verworfen.

II. Die Kosten der Revision sowie die dem Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht München hat den Angeklagten mit Urteil vom 16.3.2000 wegen versuchter Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1, Abs. 4, §§ 22, 23 StGB verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60 DM vorbehalten. Die dagegen gerichtete, auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft München I verwarf das Landgericht München I mit Urteil vom 6.11.2000. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft München I mit ihrer Revision; sie beanstandet mit der Sachrüge insbesondere die Anwendung der Würdigkeitsklausel sowie der generalpräventiven Ausschlußklausel gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB.

II.

Die Revision erweist sich als unbegründet. Die Begründung der Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) im angefochtenen Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

1. Grundsätzlich ist die Bemessung der Rechtsfolgen Sache des Tatrichters, dem insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht, den das Revisionsgericht grundsätzlich zu respektieren hat. Dies gilt auch für die Prognose und für die Anwendung der Würdigkeitsklausel sowie für die Prüfung des Ausschlußgrundes der Verteidigung der Rechtsordnung gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 3 StGB. Die Entscheidung des Tatrichters darf das Revisionsgericht auf die Sachrüge nur daraufhin überprüfen, ob sie nach Maßgabe der zugrunde liegenden Feststellungen vertretbar ist. Im Zweifel sind die Bewertungen des Tatrichters zu respektieren (BayObLGSt 1989, 88/90; KG NZV 1997, 26; LK/Gribbohm StGB 11. Aufl. § 59 Rn. 17 und 22, jeweils m. w. N.).

2. Mit der angefochtenen Entscheidung bleibt der Tatrichter im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums.

Nach den revisionsrechtlich einwandfreien Feststellungen des Berufungsgerichts war der zur Tatzeit von seiner in den Jahren 1996 - 1998 suchtkranken Ehefrau getrennt lebende Angeklagte damals auch selbst alkoholabhängig und deshalb von seinem Vorgesetzten sowie von Kollegen "angesprochen" (BU S. 5) worden. Er sei aufgrund seiner Alkoholsucht in dieser Zeit nur gering belastbar gewesen und habe die verfahrensgegenständliche versuchte Strafvereitelung aus dieser besonderen Situation heraus in falsch verstandener Solidarität mit seinem Arbeitgeber und seinem Kunden begangen. Diese "persönlichen und gesundheitlichen Schwierigkeiten" habe der bislang nicht vorbestrafte Angeklagte "sichtbar nunmehr überwunden" (BU S. 6). Daraus leitet das Berufungsgericht die Erwartung ab, daß der Angeklagte sich künftig insgesamt straffrei führen wird (§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB). Diese Prognose ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zur Privilegierungswürdigkeit gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB führt die Strafkammer über ihre Erwägungen zur Erprobungstauglichkeit des Angeklagten hinaus aus:

"Bei der Tatbegehung, hier die Verneinung der Frage, ob ein Bankschlüssel mit der Nummer zu einem Schließfach seiner Filiale gehören würde, war von einer Kurzschlußhandlung auszugehen, nachdem dieses Schließfach nicht den anderweitig verfolgten Eheleuten K gehörte und der Angeklagte aus falsch verstandener Solidarität gegenüber seinem Arbeitgeber und seinem Kunden gehandelt" hat.

"Da er nunmehr auch in der elektronischen Datenverarbeitung Vorkehrungen getroffen hat, die solche Falschauskünfte vermeiden sollen, war es angezeigt, ihn von der Verurteilung zu Strafe zu verschonen, insbesondere auch um seine weitere berufliche Existenz nicht zu gefährden" (BU S. 6/7).

Durch die dem Angeklagten zur Last gelegte versuchte Strafvereitelung sei dem Fiskus schon deshalb kein Schaden entstanden, weil sich in dem fraglichen Bankschließfach zur Tatzeit keine für das Strafverfahren relevanten Unterlagen befunden hätten.

Das Verfahren gegen die Eheleute K wegen Hinterziehung von Einkommen- und Vermögensteuer sei inzwischen beendet, hinsichtlich des Beschuldigten Dr. K gemäß § 153 a StPO.

Auch diese Erwägungen halten jedenfalls im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Zwar ist - wie die Revision zu Recht beanstandet - nicht nachvollziehbar, wie und weshalb - nicht näher bezeichnete - "Vorkehrungen in der elektronischen Datenverarbeitung" (BU S. 7) geeignet sein sollen, eine vorsätzliche Falschauskunft über die Existenz eines Bankschließfachs - wie die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dem Angeklagten zur Last liegende - künftig zu vermeiden. Dennoch gelangt das Berufungsgericht bei der Gesamtwürdigung seiner Feststellungen zur Tat, zur Persönlichkeit des Täters und zu den Begleitumständen der Tat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, daß beim Angeklagten besondere Umstände sowie eine von diesen ausgehende Indizwirkung im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB vorliegen.

Als besondere Umstände im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB kommen nämlich - wie auch in den Fällen der § 56 Abs. 2 Satz 1, § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB - nicht nur solche in Betracht, die dem Fall den "Stempel des Außergewöhnlichen" aufdrücken. Es genügen vielmehr auch Umstände, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen ein besonderes Gewicht haben, wobei sich dieses "besondere Gewicht" auch durch das Zusammentreffen mehrerer, jeweils nur durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben kann (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 59 Rn. 5 ff. i. V. m. § 56 Rn. 9 c ff. insbesondere 9 e, und § 57 Rn. 29, LK/Gribbohm aaO Rn. 8 ff. und Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 59 Rn. 5 ff., jeweils m. w. N.).

Zumindest mit der zuletzt genannten Maßgabe erfüllen die Feststellungen der Strafkammer die Voraussetzungen der Umstände- und darüber hinaus der gesamten Würdigkeitsklausel des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB. Danach hat nämlich der bislang strafrechtlich völlig unauffällige Angeklagte aufgrund vorübergehender, besonders schwieriger persönlicher und familiärer Verhältnisse und sich daraus ergebender beruflicher Probleme sowie insgesamt reduzierter Belastbarkeit eine vermeintlich im Sinne seines Arbeitgebers und seiner Kunden liegende und damit der Vermeidung weiterer beruflicher Spannungen dienende Straftat begangen, die letztlich zu keinem Schaden für den Fiskus führte. Sie ist insbesondere als singuläres Fehlverhalten des Angeklagten zu beurteilen und nicht etwa als Teilakt einer langfristig angelegten, systematischen Hintertreibung des staatlichen Steueranspruchs.

Durch die Gesamtheit dieser Täter, Tat und Begleitumstände kennzeichnenden Besonderheiten hebt sich diese Straftat so deutlich vom Durchschnittsfall der - versuchten - Strafvereitelung ab, daß die Privilegierung des Angeklagten gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB noch vertretbar erscheint.

Die Strafkammer hat auch rechtsfehlerfrei begründet, daß die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe nicht gebietet.

Sie verweist zu Recht darauf, daß der vorliegende Fall sich deutlich unterscheidet von Straftaten, durch die systematisch die Steuerdelikte von Bankkunden ermöglicht und/oder gefördert werden, verbunden mit massiver Verkürzung des staatlichen Steueranspruchs, und bei denen deshalb im Hinblick auf die Gefährdung der Rechtstreue der Bevölkerung im Bereich der Steuerehrlichkeit ein Absehen von Verurteilung zu Strafe grundsätzlich nicht in Betracht kommt (BGHR StGB § 59 "Verteidigung der Rechtsordnung 1").

Unter diesen speziellen Gegebenheiten wird durch die Anwendung des § 59 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten das Vertrauen der Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen nicht gefährdet. Abzustellen ist dabei nämlich auf den billig und gerecht denkenden, voll und zutreffend unterrichteten Bürger. Für diesen ergibt sich aber gerade aus den Darlegungen der Strafkammer zu den "besonderen Umständen" des Falles im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, daß dieses bislang einmalige Fehlverhalten des Angeklagten insgesamt Ausnahmecharakter hat und deshalb die bloße Verwarnung unter Strafvorbehalt als Sanktion ausreichend erscheint, zumal das Ermittlungsverfahren gegen den anderweitig überführten eigentlichen Steuerstraftäter ebenfalls ohne Verurteilung zu Strafe beendet wurde, nämlich durch Einstellung gemäß § 153 a StPO.

Die angefochtene Entscheidung begegnet daher insgesamt keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

Die Revision der Staatsanwaltschaft war deshalb mit der Kostenfolge gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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